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Svenja Christen

Topsharing und Digitalisierung: Wie arbeiten hybride Führungstandems zusammen?

Aktualisiert: 20. Nov.

Viele Meetings, schnelle und komplexe Informationen und ein hoher Effizienzdruck. Das erleben zur Zeit viele Menschen. Die Digitalisierung treibt die Geschwindigkeit komplexen Informationsaustauschs voran und bietet gleichzeitig Tools für mehr Struktur und Effizienz, um diese Informationen zu verarbeiten. Bei der Arbeit im Tandem müssen Jobsharer:innen sicherstellen, dass die Essenz an Informationen ausreichend und kontinuierlich zwischen ihnen fließt. Eine echte Herausforderung! Obwohl Jobsharing als Konzept schon seit den 80er Jahren besteht, steigt die Popularität und Umsetzung erst jetzt in unserer digitalisierten Welt. Ein Zufall?

Luca Prietz hat sich dem Thema Digitalisierung im Jobsharing Modell in Ihrer Masterarbeit aufmerksam gewidmet. Unser Gespräch hätte ich noch lange weiterführen können. Vielen Dank für den Interessanten Austausch!


Svenja: Hallo Luca, schön, mit dir zu sprechen! Kannst du uns ein kurzes Intro zu deinem spannenden Forschungsthema geben?


Luca: Gerne! Es geht um digitale Zusammenarbeit in Führungstandems, speziell die hybride Zusammenarbeit, da es wenig Tandems gibt, die komplett digital zusammenarbeiten. Ich habe untersucht, wie Tandems mit dem gestiegenen Digitalisierungsgrad seit Corona die Situation erleben, was sie für Herausforderungen sehen und welche Erfolgsstrategien sie anwenden, um mit den Herausforderungen umzugehen. Ausgangspunkt ist die Grundhypothese der Forschungsliteratur, dass Vertrauen und Kommunikation in der digitalen Arbeit geschwächt sind. Da habe ich mir gedacht: Wow, das ist doch im Hinblick auf Jobsharing total interessant! Ist das Vertrauensverhältnis im Tandem durch die Digitalisierung wirklich geschwächt? Wie funktioniert eine effektive Kommunikation in hybriden Tandems? Durch Experteninterviews mit Tandems und Jobsharingexperten habe ich diese und weitere Fragen dann untersucht.


Svenja: Die Wissenschaft sagt aktuell also, dass sich die Beziehungsebene schwieriger digital aufrecht erhalten lässt als in Präsenz. Warum?


Luca: Die Kommunikation ist im digitalen Umfeld eingeschränkt, weil Informationen verloren gehen. Zum Beispiel fehlt die Körpersprache und Präsenz im Raum. Hinzu kommt, dass sich Vertrauen eigentlich durch eine intensive Kennenlernphase aufbaut. Gerade im Jobsharing ist diese Kennenlernphase ja besonders wichtig, um den Grundstein zu legen, sich abzutasten und herauszubekommen: Kann ich mich auf die Person verlassen, was hat die Person für Werte und wie tickt sie? Wenn die Kommunikation in dieser wichtigen Phase eingeschränkt ist, wirkt sich das negativ auf Faktoren wie Feedback, Wertschätzung und eben den Vertrauensaufbau aus. Es fehlt einfach was und da war ich sehr gespannt auf die Praxis.


Svenja: Jetzt bin ich natürlich neugierig: Was hast du herausbekommen?


Luca: Auf Basis meiner Literaturrecherche ging ich davon aus, dass es sehr schwierig ist, die Beziehungsebene digital aufzubauen, aber die Interviews zeigen: Es geht! Aber langsamer.


Svenja: Das heißt ein Tandem kann sich komplett digital aufbauen und dennoch eine vertrauensvolle Beziehungsebene aufbauen, aber dann braucht es mehr Zeit?


Luca: Genau! Meine Empfehlung ist allerdings trotzdem sich am Anfang so viel wie möglich in Präsenz zu treffen, damit es schneller geht. Und wenn man dann die Vertrauensebene erreicht hat, kann man auch wieder verstärkt in den digitalen Austausch gehen.


Svenja: Sehr spannend! Also alles ist möglich, aber in unterschiedlicher Geschwindigkeit! Eine wichtige take home message für Unternehmen, die Tandems auf Distanz oder unter isolierten Homeofficebedingungen aufbauen möchten!

Luca, in unserer Vorarbeit habe ich einen sehr schönen Begriffs-merge von dir gelernt: VUCArona. Kannst du kurz erklären was sich dahinter verbirgt, auch für Menschen, die den VUCA Begriff noch nicht kennen?


Luca: VUCA beschreibt einen großen Wandel in der Arbeits- und Unternehmenswelt und setzt sich zusammen aus: Volatility, uncertainty, complexity und ambiguity. Im Grunde bedeutet das Akronym, dass die Welt viel vernetzter, weniger planbar und mehrdeutiger geworden ist. Durch Corona haben sich die vier Faktoren noch mehr verstärkt. Das Spannende in meiner Studie war: Meine Interviews haben gezeigt, dass Jobsharing in diesem VUCArona-Wandel ein total starkes Führungsmodell ist.


Svenja: Da überlappen sich unsere Studien. Wir haben im ersten Lockdown die Robustheit und Power von Tandems unter eben diesen Umständen erforscht [Link] und kamen zu dem gleichen Ergebnis. Toll, dass du die Ergebnisse replizieren konntest!


Luca: Ja das konnte ich ganz klar feststellen. Die Topsharer:innen berichten, sich im Vergleich zu Einzelführungskräften stark und sicher zu fühlen, weil sie den Rückhalt der anderen Person haben und eine noch höhere Flexibilität. Alle waren sehr begeistert.

Svenja: Fiel die Metapher „eheähnlicher“ Zustand?

Luca: (lacht) Ja genau! Es ist schon ein enges Band.


Svenja: Lass uns noch einmal auf die Ergebnisse blicken. Vieles hat sich ja für uns alle durch VUCArona geändert. Gibt es denn Digitalisierungsaspekte, die tandemspezifisch sind?


Luca: Ja, gemeinsam haben wir erstmal alle, dass sich die Informationsdichte erhöht hat. Ein Meeting jagt das nächste, mehr Informationen fließen immer schneller. Tandemspezifisch sind dann vor allem drei Dinge:

1. Die Informationsmasse effizient im Tandemaustausch fließen zu lassen und sich up to date zu halten. Im Tandem brauchst du diesen Fluss natürlich, um dich gegenseitig zu vertreten. Hier eine entsprechende Dokumentation sauber zu gestalten ist schon eine Herausforderung.

2. Die Pflege der Beziehungsebene im Tandem. Also sich in dem ganzen Effizienzdruck nicht aus den Augen zu verlieren und genug Begegnung zu schaffen, auch im informellen Austausch.

3. Die technischen Rahmenbedingen. Also Systeme, die auch funktionieren und Jobsharing Modelle überhaupt zulassen.


Svenja: Oh ja, das Dauerbrennerthema der sperrigen Systeme! Dazu haben wir schon viel geschrieben, leider fasst SAP das Thema nach wie vor nicht an. Wir bleiben dran. Aber ich wollte nochmal auf den ersten Punkt zurückkommen. Wir erleben in der Praxis das Risiko, dass Tandems durch die Informationsflut und Arbeitsverdichtung Gefahr laufen, in einen Split zu rutschen und Arbeit eher untereinander zu verteilen, als gemeinsame Verantwortung zu tragen. Hast du diesen Effekt auch beobachten können?


Luca: So konkret kam das in meinen Befragungen nicht auf. Aber was es gab, war die Tendenz den Tandempartner bei zu viel Belastung schützen zu wollen und sich selbst zu viel aufzubürden. Und manchen Tandems fällt es zunächst schwer das passende Maß an Informationsweitergabe zu finden.


Svenja: Also durchaus einige tandemspezifische Challenges. Und wie empfinden die Topsharer:innen das hybride Arbeiten unterm Strich?


Luca: Insgesamt als sehr gut. Hybrid wurde tatsächlich schon immer gearbeitet aber natürlich gab es jetzt einen gewaltigen Shift hin zu weniger Präsenz und mehr Digitalisierung. Jobsharer:innen, die aber beide Welten als Tandem kennen, also vor und nach Corona, schätzen den höheren Grad an Digitalisierung sehr wert. Allerdings nicht ohne auch die gerade besprochenen Herausforderungen zu nennen. Daher ist es besonders am Anfang wichtig, mehrere Iterationsschleifen zu drehen, um den passenden individuellen hybriden Weg als Tandem zu finden, um erfolgreich zusammenarbeiten zu können.


Svenja: Ja, da muss jedes Tandem seinen eigenen Weg und Rhythmus finden, aber gibt es denn auch generalisierbare Erfolgsfaktoren?


Luca: Ja, schon. Grundsätzlich ist es zum Beispiel besser als Tandem einige wenige Tools finden, anstatt eines ganzen Warenkorbs.


Svenja: Welche sind das?


Luca: Es ist schwierig zu sagen, genau dies oder jenes ist perfekt. Aber es gibt die Tendenz zu einem Tool, indem möglichst viel funktioniert, zum Beispiel One Note, weil da eine gute Dokumentation möglich ist. Manche Tandems tauschen auch ihre Gefühle darüber aus. Die meisten Tandems nutzen dazu noch MS Teams und Outlook, also eine Dreierkombi aus Chat-Tool, Emailprogramm und Dokumentationstool. Alle Tools haben aber auch Schwächen. Zum Beispiel kann man über eine gemeinsame Email-Adresse bei Outlook keine Termine anlegen. Da wäre es sinnvoll, wenn Tools entwickelt werden, die gemeinsame Accounts möglich machen. ERP Systeme wie SAP machen es ja leider unmöglich, dass zwei Menschen auf einer Position systemseitig abgebildet werden. Und das ist schon sehr blöd für Jobsharer:innen. Sehr gerne genutzt werden übrigens auch Sprachnachrichten, was auch bei MS Teams geht. Einfach um abends eine Tageszusammenfassung zu machen und auszuspeichern was man tagsüber erlebt hat, oft mit kleinem Hashtag versehen um es im Chat dann wiederzufinden.


Svenja: Ohja, nur bitte keine Zahlen, Daten, Fakten in einer Sprachnachricht! Manche Tandems, spielen die Nachrichten dann sogar in doppelter Geschwindigkeit ab, aber das ist sicher Geschmacksfrage. Eine Empfehlung von mir an dieser Stelle: Auch die Diktierfunktionen sind mittlerweile sowohl beim I Phone als auch bei Android super: findet man auf der Tastatur.


Welche Themen sollte man denn lieber digital und welche in Präsenz besprechen?

Luca: Physisch eignen sich Beziehungsthemen, kreative Themen und strategische Themen. Das sind alles Sachverhalte, die komplexe Informationen beinhalten und einen tiefen Austausch erfordern. Themen, die wiederum schnell gehen müssen oder nicht so wichtig sind, sollten optimalerweise im digitalen Raum landen. Wichtig ist auch, dass es weiterhin gemeinsame Erfahrungen braucht. Denn die Spontanität verschwindet im Digitalen.


Svenja: Also kein spontaner Talk mehr in der Kaffeeküche…


Luca: Genau und das kann man sich aber konkret einplanen. Zum Beispiel ein Spaziergang einmal im Monat im Park.


Svenja: Aber ist es wirklich das Gleiche, wenn das Treffen nicht aus einem spontanen Impuls heraus geschieht, sondern fix im Kalender steht?


Luca: Auf Basis der Studiendaten kann ich das leider nicht beantworten. Aber meine Meinung ist: Nein, das ist nicht das Gleiche. Denn spontane Erlebnisse und Erfahrungen, die schweißen mehr zusammen und sind oft tiefer. Aber um die Verbindung nicht zu verlieren, da taugen auch geplante Treffen. Zum Beispiel ein geplanter Austausch über Werte im Tandem. Ich empfehle also regelmäßige Blocker für eine geplante Tandemzeit.


Svenja: Dem schließe ich mich an und das am besten gleich für das ganze Jahr, bevor das operative Geschäft den Kalender in Beschlag nimmt. Ich habe noch eine kognitionspsychologische Frage: Hast du den Eindruck, dass Jobsharer:innen ihre Arbeit tiefer durchdringen, da sie alle Informationen noch einmal für den Tandempartner aufbereiten- und dadurch reflektieren müssen? Ein Beispiel: Wenn ein Jobsharer im Meeting sitzt und dabei Notizen für den Tandempartner macht und sich dafür in seinen Tandempartner hineinversetzt, überlegt was für ihn und die Rolle relevant und essenziell ist, findet da vielleicht ein Reflektionsprozess statt, der bei Einzelpersonen nicht stattfindet?


Luca: Das ist ein total interessanter Gedanke. Auch wenn ich den Aspekt nicht explizit untersucht habe, wurde in den Interviews davon gesprochen. Tandems haben berichtet, dass sie durch das Protokollieren selbst einen viel besseren Überblick über die Themen haben, sie sich besser im Kopf einbrennen und eine bessere Struktur entsteht. Ich glaube also schon, dass das einen riesigen Einfluss auf die Qualität der Führungsarbeit haben kann, aber das bleibt an dieser Stelle eine Hypothese.


Svenja: Schön, dass wir die Hypothese aufnehmen und weiterdenken können, da fließen unsere Studien ein wenig ineinander. In unserer neusten Studie, die wir gemeinsam mit der Uni Heilbronn und Twise durchgeführt haben, schauen wir uns unter dem Überbegriff „Performance“ von Jobsharer:innen unter anderem auch die Qualität der Arbeitsergebnisse an. Dann komme ich zu meiner letzten Frage. Luca, gibt es noch etwas, was du den Leser:innen mitgeben willst zum Thema hybrides Arbeiten im Jobsharing ?


Luca: Ja und zwar das Zitat was ich in meinen Interviews am schönsten fand: Verliert euch nicht aus den Augen! Das hat so schön zusammengefasst, worauf es ankommt in der digitalen Zusammenarbeit. Einerseits, physische Treffen nicht aus den Augen zu verlieren, sich gegenseitig nicht aus den Augen zu verlieren und auch die Beziehung, den Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Also dass nicht alles auf Effizienz- und Produktivitätssteigerung ausgelegt ist, sondern auch auf die persönliche Ebene.


Svenja: Dann schließen wir das Interview mit diesem sehr schönen Zitat! Liebe Luca, vielen Dank für diese tolle Masterarbeit!


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